Freitag, 23. November 2007

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort


Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist aus Sicht der Gerichte kein Kavaliersdelikt. Eine Verurteilung nach § 142 StGB hat im Regelfall die Eintragung von sieben Punkten im Verkehrszentralregister zur Folge. Immer wieder kommt es zu Konstellationen, bei denen sich die beteiligten Taxifahrer unschuldig oder aber im Recht fühlen weil sie meinen, ihren Pflichten am Unfallort nachgekommen oder aber nicht an einem Unfall beteiligt gewesen zu sein.

So hat beispielsweise das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 24.01.2007 (Az. 2 St OLG Ss 300/06 = NZV 2007, S. 535) einen Taxifahrer verurteilt, der auf einem Bahnhofsvorplatz in einer ganzen Reihe von Taxen auf Fahrgäste wartete. Als der Taxifahrer wegen einer vor ihm entstandenen Lücke nachrücken wollte, versuchte er links an einem anderen Taxi vorbeizufahren um davor wieder in die Reihe der wartenden Taxis einzuscheren. Dabei streifte der Taxifahrer mit der Beifahrertür seines Taxis aus Unachtsamkeit den linken Außenspiegel eines anderen Taxis. An dem Spiegel entstand ein Sachschaden in Höhe von 59,00 €.

Obwohl ein Kollege ihn aufforderte ihm seinen Namen zu nennen und die notwendigen Feststellungen zum Schaden zu treffen und obwohl der Taxifahrer den Unfall bemerkt und erkannt hatte, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden ist, und dass der Unfallgegner seine Personalien forderte, lud er eintreffende Fahrgäste in sein Taxi ein und fuhr davon, ohne die erforderlichen und geforderten Feststellungen zur Person und zu seiner Tatbeteiligung zu ermöglichen.

Er verwies den Kollegen lediglich auf seine Taxinummer und erklärte, er solle sich mit seinem Chef in Verbindung setzen.

Der Taxifahrer wurde durch das OLG Nürnberg zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20,00 € (800,00 €) sowie zu einer Geldbuße in Höhe von 35,00 € verurteilt.

Auslegungsprobleme gibt es in der täglichen Praxis insbesondere beim Unfallbegriff „was ist eigentlich ein Unfall?“ und bei den Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten gegenüber anderen Unfallbeteiligten.

Nach ständiger Rechtsprechung (BGHZ 12, 253, 255) ist ein Unfall im Straßenverkehr ein plötzlich unerwartetes Ereignis, welches zur Verletzung oder Tötung eines Menschen bzw. zu einem nicht gänzlich unbedeutendem Sachschaden geführt hat und sich im öffentlichen Straßenverkehr bzw. im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr ereignete.

Ein völlig belangloser Schaden schließt die Anwendung des § 142 StGB (unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) aus. Ein solcher liegt vor, wenn üblicherweise keine Schadensersatzansprüche gestellt werden, d. h. bei geringfügigen Beeinträchtigungen.

Bei einem Sachschaden wird die Grenze zwischen 20,00 € und 25,00 € (so OLG Düsseldorf, DAR 1997, 117) bis hin zu 50,00 € (LG Giessen, DAR 1997, 364) gezogen. Im obigen Streitfall bestätigt das OLG Nürnberg mit Rücksicht auf die allgemeine Preissteigerung, insbesondere auf die Verteuerung von Autoreparaturen die Bagatellgrenze bei derzeit 50,00 €.

Beteiligt an einem Unfall ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zum Unfall beigetragen haben kann (vgl. § 34 Abs. 2 StVO). In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob eine Berührung zwischen Fahrzeugen stattgefunden hat. Wesentlich ist, dass eine Mitwirkung an einem späteren Unfallereignis in Betracht kommt.

Die Mitwirkungspflichten nach einem Verkehrsunfall sind in § 34 StVO normiert. Nach Ziffer 5 hat jeder Beteiligte anderen am Unfallort anwesenden Beteiligten und Geschädigten

a) anzugeben, dass er am Unfall beteiligt war und

b) auf Verlangen seinen Namen und seine Anschrift anzugeben sowie Führerschein und Fahrzeugschein vorzuweisen und nach bestem Wissen Angaben über die Haftpflichtversicherung zu machen.

Nach § 34 Ziffer 6
a) hat jeder Unfallbeteiligte solange am Unfallort zu verbleiben, bis er zugunsten der anderen Beteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit ermöglicht oder

b) eine nach den Umständen angemessene Zeit zu warten und am Unfallort Namen und Anschrift zu hinterlassen, wenn niemand bereit war, die Feststellung zu treffen.

Folgende Angaben sollten in jedem Fall gegenüber allen Unfallbeteiligten gemacht werden:

1.) Name des Fahrers,
2.) Name des Halters,
3.) polizeiliches Kennzeichen,
4.) mögliche Angaben zur Haftpflichtversicherung.

Die obigen Ausführungen zeigen, dass die bloße Angabe einer Taxinummer oder aber der Rufnummer der Funkzentrale in keinem Fall ausreichen.

Besonderes Augenmerk ist darüber hinaus bei Kollisionen mit besonders schutzwürdigen Personengruppen (Kindern, Älteren, etc.) zu legen. Oftmals stehen diese Personengruppen nach einem Verkehrsunfall unter Schock. Oftmals wollen die Unfallbeteiligten ihre Fahrt bzw. ihren Gang fortsetzen und werden dann zuhause von Freunden/Angehörigen „schlau gemacht“ und aufgefordert, ihre vermeintlichen Rechte gegenüber den Taxifahrern durchzusetzen. Aus Hilflosigkeit suchen diese Unfallbeteiligten regelmäßig das nächste Polizeirevier auf, wo eine Anzeige wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gefertigt wird, bis die Beteiligung des Fahrers/Fahrzeuges ermittelt wurde.

Hilfreich ist bei derartigen Konstellationen in jedem Fall die Hinzuziehung der Polizei.

Sollte auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet werden, sind in jedem Fall die oben genannten vollständigen Daten dem Unfallbeteiligten auszuhändigen. Bei Minderjährigen sollten in Zweifelsfällen die Eltern benachrichtigt werden. Es sollte immer bedacht werden, dass die Tour, die durch den Unfall verpasst wird, deutlich weniger Geld bringt, als ein späteres Strafverfahren kostet.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Kay Gunkel, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Bremen

Mittwoch, 21. November 2007

"Girokonto für jedermann“ – Guthabenkonto ein Recht für Vermögenslose? v. RA Ralf Stempel (August 2007)

Etliche Bürger, sprich am Rechtsverkehr Teilnehmende, besitzen kein Girokonto. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Ein wesentlicher ist für viele, dass sie bei keinem Kreditinstitut ein Girokonto erhalten und die damit verbundenen erheblichen Unannehmlichkeiten wie Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu halten oder zu finden, Mietdaueraufträge nicht einrichten zu können etc., ertragen müssen.

Hintergrund ist bei diesen Personen oft, dass sie über kein Vermögen und kein nennenswertes Einkommen verfügen und somit für Kreditinstitute als Kunden bzw. Girokundeninhaber unattraktiv sind. Zugleich stellen sie für das Kreditinstitut ein gewisses wirtschaftliches Risiko dar, sofern nämlich der wirtschaftliche Hintergrund, insbesondere das regelmäßige Einkommen nicht vorhanden oder zu gering ist, gleichzeitig jederzeit vereinbarte oder auch nur geduldete Kredite über das Girokonto in Anspruch genommen werden.

Um Letzteres zu vermeiden, gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, ein sogenanntes Girokonto auf Guthabenbasis zu führen, sprich ein Girokonto ohne Überziehungsmöglichkeit zu erhalten. Auf diese Weise werden auch wirtschaftlich Schwache in die Lage versetzt, am Geschäftsverkehr teilzunehmen, insbesondere auch ein Arbeitsverhältnis anzunehmen und dem Arbeitgeber die von ihm regelmäßig verlangte Kontoverbindung in Form eines Girokontos aufgeben zu können.

Gleichwohl bleibt es dabei, dass die Inanspruchnehmer eines solchen Girokontos auf Guthabenbasis nicht zu den bevorzugten Kunden der Kreditinstitute gehören. So finden sich gerade stark überschuldete oder gar im Insolvenzverfahren befindliche Personen regelmäßig in der Situation wieder, dass sie bei ihrem bisherigen oder auch einem neuen Kreditinstitut vergeblich ein Girokonto erbitten, und sei es auch nur auf Guthabenbasis.

Dieser ganze Themenkomplex wird bereits seit mehreren Jahren vor dem Hintergrund diskutiert, dass es nach Möglichkeit sämtlichen Bürgern dieses Landes möglich sein soll, am Geschäftsverkehr teilzunehmen, wobei diese Teilnahme nach übereinstimmender Meinung gerade auch damit steht und fällt, ob eine jede und ein jeder auf ein Girokonto zurückgreifen kann. Dies soll möglicherweise durch einen Anspruch jeder Bürgerin gegenüber Kreditinstituten, ein Girokonto zu erhalten, sichergestellt werden.

Auf der anderen Seite stehen die durchaus berechtigten Erwägungen der Kreditinstitute, die sich im Wesentlichen mit den Begriffen Gewährleistung von Vertragsabschlussfreiheit und Wahrung wirtschaftlicher Interessen zusammenfassen lassen. In der Tat müssen Bedenken (insbesondere von der Kreditwirtschaft) ernst genommen werden, die sich gegen einen gesetzlichen Zwang zum Abschluß eines Girokontovertrages aussprechen; der Hinweis auf die in Deutschland bestehende Privatautonomie, also auf das Recht sowohl der Bürger als auch der Kreditinstitute, sich den jeweiligen Vertragspartner selbst aussuchen zu können und nicht aufgezwängt zu bekommen, ist wesentlich.

Unter dem Eindruck des Für und Wider eines Girokontos für jedermann und durchaus seit einigen Jahren bestehender gesetzgeberischer Überlegungen reagierte der sogenannte Zentrale Kreditausschuß (ZKA): er empfahl den fünf Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft aus Anlass eines Rechtsstreits und zur Vermeidung eines möglicherweise negativen Urteils, sich selbst zu verpflichten, jedem Bürger und jeder Bürgerin auf Wunsch ein Girokonto auf Guthabenbasis zur Verfügung zu stellen. Diese (Empfehlung zur) Selbstverpflichtung aus dem Jahr 1995 wurde zunächst ernsthaft diskutiert.

Da sich in der Folgezeit viele der (auch in Bremen ansässigen) Kreditinstitute an diese Selbstverpflichtung nicht recht erinnern wollten und Insolvenzschuldner oder ähnlich Situierte weiterhin in der Situation waren, nicht am geschäftlichen Verkehr in vollständigem und würdigem Umfang teilnehmen zu können, kam es abermals zu einem Gerichtsverfahren, diesmal mit Urteil. Das Landgericht Bremen erklärte mit dem Urteil vom 16.06.2005 (Aktenzeichen 2 O 408/05) zunächst, dass das betroffene Kreditinstitut einen Anspruch auf Erteilung eines vom Einkommen unabhängigen Girokontos zu respektieren hätte. Das LG Bremen verpflichtete also das betroffene Kreditinstitut, der Selbstverpflichtung nachzukommen und dem klagenden Bürger ein Girokonto (auf Guthabenbasis) zu gewähren.

Diese Landgerichts-Entscheidung wurde jedoch nicht rechtskräftig, vielmehr durch das nächstinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichtes Bremen im Jahr 2006 (BKR 2006, 294) aufgehoben. Das OLG argumentierte gegen die Entscheidung des Landgerichtes, ein Anspruch des Bürgers bestehe nicht, vielmehr handele es sich bei der Empfehlung des ZKA lediglich um eine Bitte an die Mitglieder, sich in Zukunft an diese Empfehlung zu halten. Die ZKA-Empfehlung sei für sich genommen ein rechtliches Nullum.

Womit wir fürs Erste wieder am Anfang wären: einen Anspruch auf Erhalt eines Girokontos (auf Guthabenbasis) kann derzeit kein Bürger gegen ein Kreditinstitut erheben bzw. durchsetzen. In Ermangelung einer verbindlichen Selbstverpflichtung der Kreditinstitute können diese sich zu Recht auf bestehende Privatautonomie berufen und sich gegen entsprechende Kontrahierungszwänge, mithin gegen den erzwungenen Abschluss eines Girokontovertrages wehren.

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass sich in der Rechtslandschaft etwas bewegt und geändert hat. Die Gesetzgebungsforen sind (weiter) aktiv. Die bereits Ende der Neunzigerjahre formulierten Regelungsvorschläge der Parteien Bündnis 90/Die Gründen, der Partei Die Linke sowie der SPD werden aufs Neue diskutiert und in überarbeiteter Form als Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht. Mit Blick auf die im Deutschen Recht wesentliche Vertragsfreiheit erscheinen solch gesetzgeberische „Zwangsmaßnahmen“ allerdings hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten fragwürdig. Das Bundesverfassungsgericht schwebt über allem.

Es bleibt damit festhalten, dass die wünschenswerte Klarstellung, wonach ein jeder ein Girokonto erhalten kann, nach wie vor nicht in Sicht ist. Damit bleibt besonders solchen Personen der Weg zur vollständigen Integration versperrt, die sich bemühen, trotz ungünstiger Ausgangssituation – etwa als soeben das Insolvenzverfahren beendeter „Ex-Schuldner“ – am Rechtsverkehr teilzunehmen. Dies ist selbstverständlich in erster Linie für die betroffenen Personen bitter und angesichts des letztlich geringen wirtschaftlichen Risikos, welches für die Kreditinstitute bei einem Girokonto auf Guthabenbasis besteht, auch kaum verständlich zu machen. Bedenklich ist diese Situation aber zudem auf anderer Ebene, nämlich da es das mit der Insolvenzordnung klar formulierte gesetzgeberische Ziel konterkariert, dem redlichen Schuldner eine Perspektive zu bieten: hat er doch vor wie nach dem abgeschlossenen Insolvenzverfahren durch die Verweigerung eines Girokontos erhebliche Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu erhalten oder eine (bescheidene) Selbständigkeit wieder aufzubauen und sich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu fühlen.

Es bleibt abzuwarten, ob gemachte Vorschläge, zum Beispiel in Form einer nicht nur durch den ZKA empfohlene, sondern von den vielen Banken individuell ausgesprochene und daher verbindliche Selbstverpflichtung, mittel- bis langfristig eine für alle Beteiligten tragbare und vor allem verlässliche Lösung bringen werden. Bis dahin ist ein jeder vermögenslose und einkommensarme Bürger (und deren Rechtsbeistände) gehalten, eindringlich appellierende Gespräche mit den jeweiligen Kreditinstituten im konkreten Einzelfall zu führen – mit der einen oder anderen Bank geht dies erfahrungsgemäß einfacher!

gez. RA Ralf Stempel, Anwaltsbüro und Notarbüro Dr. Gunkel und Kollegen